Sehschule (Orthoptik)

Kategorien: Augenärztliche BehandlungPublished On: 1. Juni 2022Von 5,5 min read

Dr. med. Richard Nagy

Ärztlicher Leiter, Facharzt für Augenheilkunde

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Inhaltsverzeichnis

sehschule orthoptik

Das griechische Wort orthos bedeutet in etwa gerade. Bei der Orthoptik genannten Sehschule handelt es sich um ein Spezialgebiet der Augenheilkunde. Im Fokus stehen hierbei Sehstörungen, Beeinträchtigungen beziehungsweise Erkrankungen des binokularen Sehens, also des beidäugigen Blicks. Orthoptistinnen und Orthoptisten untersuchen Bewegungsstörungen der Augen, wie z.B. Schielen mit und ohne Doppelbilder, Augenzittern und Sehstörungen.

 

Was hat eine Sehschule mit Orthoptik zu tun?

Was wir tatsächlich sehen, hängt ganz wesentlich davon ab, wie beide Augen gemeinsam das Bild zusammenstellen können. Dabei geht es unter anderem um die richtige, naturgetreue Kombination unterschiedlicher visueller Informationen aus zwei Blickwinkeln, die zum Beispiel erst eine Tiefenschärfe ermöglichen.

Auf diese Weise nehmen wir gleichzeitig mehrere Objekte dreidimensional in Raum und Fläche wahr. Wer beispielsweise beim Autofahren ein Auge abdeckt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Unfall verursachen. Insofern bedeutet jede Störung des beidäugigen Sehens eine ganz herbe Einschränkung der Lebensqualität.

Die Sehschule deckt gleich mehrere Aufgabenbereiche ab

Wenn im Rahmen von augenärztlichen Untersuchungen bestimmte Krankheitsbilder diagnostiziert wurden, kann die Orthoptik als eine wichtige Therapievariante nachgeschaltet werden und viel erreichen.

Strabismus

Schielen ist eine häufige und bedeutsame Einschränkung des binokularen Sehens. Die Ursache liegt meistens in einer fehlerhaften Koordination der Augenmuskeln. Durch das Schielen entstehen oft Doppelbilder. Je nach Grad der Augenfehlstellung wird das Schielen in diese Formen untergliedert:

  • Esotropie
    Beim Innenschielen sind die Augen übertrieben einwärts gerichtet.
  • Exotropie
    Dem entsprechend ist das Aussenschielen durch nach aussen gerichtete Augen gekennzeichnet.
  • Hypertropie
    Bei diesem Krankheitsbild steht das rechte Auge etwas höher als das linke.
  • Hypotropie
    In diesem Fall befindet sich das rechte Auge tiefer als das linke, man achte auf den feinen Unterschied in der Wortbildung. Hyper- und Hypotropie werden beide in das Krankheitsbild Schielen eingeordnet.
  • Zyklophorie
    Hierbei handelt es sich um eine drehende Schielbewegung.

Schielen ist oftmals angeboren, der Augenarzt spricht in diesem Fall von kongenital. Aus diesem Grunde sind davon viele Kleinkinder betroffen. Um die sich daraus ergebenden Folgeschäden wie eine Amblyopie (Schwachsichtigkeit) des abweichenden Auges zu vermeiden, sollte so früh wie möglich eine Behandlung im Rahmen der Orthoptik erfolgen. Dies gilt auch für das Schielen, das sich erst in späterem Alter einstellt.

Nystagmus

Die unkontrollierbaren rhythmischen Augenbewegungen (Augenzittern bzw. Nystagmus) liegen ebenfalls eine motorische Störung im Bereich der Augenmuskulatur zugrunde. Auch diese Erkrankung lässt sich in der Orthoptik gut behandeln.

Hemianopsie

Die Sehschule ist durchaus geeignet, einen halbseitigen Gesichtsfeldausfall mit einem dafür vorgesehenen Training zu behandeln, wenngleich der Erfolg nicht in jedem Einzelfall garantiert ist.

Ablauf der Untersuchung in der Orthoptik

Zunächst werden einige Prüfungen an den Augen vorgenommen:

  • Sehschärfe via Sehtests, die schon ab zwei Jahren möglich sind
  • Augenstellung im Hinblick auf das Schielen
  • Beweglichkeit der Augen
  • Zusammenarbeit der Augen
  • Stereosehen

Um eine Fehlsichtigkeit gänzlich ausschliessen zu können, werden Tropfen zur Erweiterung der Pupillen und zur temporären Lähmung der Ciliarmuskeln verabreicht, wodurch die Akkommodation kurzzeitig ausgeschaltet wird. Bei der so erweiterten Pupille kann der Augenarzt das gesamte Auge auf organische Schäden untersuchen.

Daran schliesst sich eine eingehende Besprechung des orthoptischen Befundes mit dem Patienten und/oder dessen Eltern an, bei der der Zustand der Augen und die eventuell erforderliche Therapie ausführlich und verständlich erläutert werden. ​Dafür ist mit einem Zeitaufwand von fast 90 Minuten zu rechnen, da es besser ist, die Rückbildung der Pupillenerweiterung in der Arztpraxis abzuwarten.

Die Augen unserer Kinder unterliegen einem Entwicklungsprozess

Zwar sind die Augen und der Sehnerv zum Zeitpunkt der Geburt eines Kindes physisch voll entwickelt, aber die Ausreifung der Sehfunktion einschliesslich der Bildverarbeitung im Gehirn läuft erst im Laufe der folgenden Monate und Jahre ab. Unser Gehirn und unsere Augen befinden sich in ständiger Wechselwirkung miteinander. Ist das binokulare Sehen gestört, kann dies sehr negative Einflüsse auf das Gehirn haben. Dies gilt insbesondere für die Kinder, eben weil sich ihr Gehirn noch in der Entwicklung befindet und die Nervenzellen durch fehlerhaftes Sehen geradezu falsch programmiert werden.

Auf der anderen Seite ist das Gehirn in der Lage, beispielsweise das Bild eines schielenden Auges zu unterdrücken. Der Fokus wird damit auf das „gesunde“ Auge eingestellt und das „kranke“ Auge wird vernachlässigt. Das hat enorme Konsequenzen für die Entwicklung des Sehzentrums im Gehirn mit der Folge, dass sich für das schielende Auge eine Amblyopie entwickelt.

Je jünger die Kinder sind, desto grösser ist die Chance, mithilfe der Orthoptik ein vollständiges binokulares Sehen herbeizuführen. Dies gilt übrigens auch bei einem starken Unterschied in den Brillenstärken, wenn zum Beispiel ein Auge deutlich besser sehen kann oder in einem Auge eine starke Trübung vorliegt. Ursachen dafür können eine Augenverletzung oder ein angeborener grauer Star sein.

Ein Orthoptist verfügt im Rahmen der Sehschule über sehr spezielle Kenntnisse zur Früherkennung und Behandlung von Sehschwächen. Die Art und Weise der Untersuchung wird stets dem Alter beziehungsweise Entwicklungsstand des Kindes angepasst.

Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen der Orthoptik

Erkrankungen, die mit dem Geradesehen in Verbindung stehen, können innerhalb von Familien gehäuft auftreten und bedürfen der Orthoptik im Sinne einer Therapie. Dazu verfolgt die Sehschule verschiedene Ansätze. Einer davon ist die Verordnung einer Brille oder zumindest deren Anpassung.

Beim Schielen zielt die Therapie darauf ab, das fehlgestellte Auge zu stärken. Daher sieht man öfter mal Kinder mit einem abgeklebten Auge, es handelt sich dabei um das „gesunde“ Auge. Prismatische Brillengläser dienen der Korrektur des Schielens. Dies geschieht dadurch, dass die eintreffenden Lichtstrahlen in der Weise gebrochen werden, dass trotz der Fehlstellung ein gutes beidäugiges Sehen gewährleistet ist. Wenn sich das Schielen erst in späteren Jahren entwickelt, kann möglicherweise eine Operation an den Augenmuskeln das Problem korrigieren.

Bei Gesichtsfeldausfällen, die meistens zentralen Ursprungs sind, kommen (Prismen)Brillen und auch die Sehschule schnell an ihre Grenzen. Sehr wohl kann das noch verbliebene Sehvermögen durch ein gezieltes Lesetraining verbessert werden. Sogar eine gewisse Erweiterung des Gesichtsfeldes ist damit möglich.

Zusammenfassung

Die Orthoptik gliedert sich in Diagnose, Therapie, aber auch Verbeugung von Erkrankungen des beidäugigen Sehens. Es sind sogar relativ einfache Massnahmen, mit denen die damit verbundenen Leiden in der Sehschule sehr effizient behandelt oder zumindest gelindert werden können. Daraus ergibt sich schliesslich eine deutliche Steigerung der Lebensqualität. Damit derartige Erkrankungen so früh wie möglich erkannt und behandelt werden können, sollten Eltern für ihre kleinen Kinder regelmässig Vorsorgeuntersuchungen und Beratung bei Orthoptistinnen und Orthoptisten wahrnehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Augenkrankheiten innerhalb der Familie vorgekommen sind.

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